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Liebe Leserinnen und Leser! Es ist erstaunlich, wie häufig man durch eine Stadt gehen und immer noch neue Straßen und Wege, Gassen und Treppen (sagen wir Stäffele) entdecken kann. Die Graphentheorie spricht vom Briefträgerproblem, weil der arme Briefträger alle Kanten seines Graphen – nennen wir sie Straßen – abgehen muss, indem er möglichst wenige Straßen doppelt und möglichst wenige Umwege, allgemein einen möglichst kurzen Weg geht. Nun will man auf einem Spaziergang durch die kühle und ungleich weniger frische Abendluft der Stadt nicht unbedingt komplizierte Algorithmen im Kopf ausführen, und es passiert, dass man wieder denselben ausgetretenen Pfaden folgt oder einem schon nach einer kurzen Exkursion ins Unbekannte die Steine und Häuser wieder bekannt vorkommen.

Die gedanklich immer tiefer ausgehöhlten Pfade scheinen wie gekrümmter Raum eine immer größere Anziehungskraft auf einen auszuwirken, von der man sich nur mit erklärtem Willen befreien kann. Dann aber geht man Wege, die man nie sonst gegangen wäre und entdeckt Orte und Viertel, die man bisher aus irgendeinem Grund weiträumig umgangen hat, vielleicht weil sie irgendwie abstoßend waren. Dabei gibt es außer in der Science-Fiction wahrscheinlich gar keine Antigravitation. Gerade wenn man nicht der Karte, sondern den Füßen nachgeht, genügen die Wege dem Briefträger natürlich nicht. Spaziergänge sind Umwege, und es gibt Gassen, die für sich selbst genommen nur ein Umweg sein können.

Es ist kaum erstaunlich, wie häufig man durch eine Stadt gehen und immer noch Neues entdecken kann. Denn eine Stadt besteht nun einmal nicht nur aus steinernen Straßen und Wegen, Gassen und Treppen.

Gustave Doré (Public Domain)

Wer ist unser Sumpf, wer unsere Schildkröte / Wie könnte man sich gegenseitig stützen / Was tun, lassen, gute Gedanken gesetzt / Wer wär' es, der diesen Wörtern Sinn böte / Wie die dunklen Zeiten vor sich selbst schützen / Was ist davor die Moral von dem Gesetz?

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein verfassungsloser Staat. Das Bundesverfassungsgericht hütet keine Verfassung, sondern das Grundgesetz: ein eigentlich provisorisches Gesetz, über das die Einwohner dieses eigentlich gar nicht existierenden Landes nie abgestimmt haben.

Münchhausen lebte und wirkte im 18. Jahrhundert.

Manch einer kann sich wohl noch erinnern, dass die Alliierten die westdeutschen Länder nach dem Krieg motivierten, sich eine neue Verfassung zu geben. Im Angesicht der sich vertiefenden Teilung Deutschlands wollte man aber keine definitive Verfassung, die dies festigen würde. Und so kam es, ohne Referendum, zum Grundgesetz, das als abschließendes Wort in Artikel 146 bis heute die Ablösung durch eine Verfassung des »deutschen Volkes« vorsieht.

Das deutsche Volk, dessen Umrisse und Wesen als »verfassungsgebende Gewalt« aber erst durch die Verfassung – genauer, das Grundgesetz – selbst definiert werden. Der Wille des verfassungsgebenden Volkes ist dann freilich in dieser Verfassung auch bereits festgelegt.

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Herr Baron von Münchhausen wäre wohl etwas konsterniert, dass nicht nur ihm es gelingt, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Er ist der Namensgeber des Münchhausen-Trilemmas. Trilemma, weil man hier in dieser ausweglosen Situation nicht wie beim Dilemma mit zwei, sondern sogar drei Auswegen zu kämpfen hat.

Das Grundgesetz wird automatisch gültig durch Ius sanguinis oder soli, also durch Abstammung oder Geburtsort.

Wir treffen auf das Trilemma, wenn wir nach dem unumstößlichen Fundament graben, der Schildkröte, die nach alter asiatischer Mythologie die Erde trägt. Entweder, weil jeder Fund wiederum von etwas getragen werden muss, weil die Schildkröte wieder etwas unter ihren Füßen haben muss, weil wir nie den tiefsten Grund finden. Oder weil wir uns beim Finden des tieferen Grunds in einen Kreis verstricken und dort wieder herauskommen, wo wir begonnen haben, wie etwa bei der in der Verfassung definierten verfassungsgebenden Gewalt des Volkes. Oder, zum Dritten und Letzten, weil wir einfach aufgeben.

Bearbeitet (Public Domain)

Mit welchem Recht kann die Polizei einen Mörder festnehmen, wenn dieser vielleicht ihre Existenz oder gleich die Existenz des Staates oder Landes, in dessen Verantwortung sie steht, gar nicht anerkennt? Wenn nicht einmal, wie anderswo, Vorfahren, Großeltern, Eltern, und wie in den allermeisten Fällen weltweit, jedenfalls nie er selbst – als vernunftbegabter Mensch – für oder aber gegen eine Verfassung gestimmt haben, die eben dieses Gespinst Staat legitimieren könnte?

Relativ zur heutigen Version wurden seit der Urversion von 1949 12% der Absätze gelöscht und 43% neu hinzugefügt.

Nur durch den schicksalhaften Zufall der Geburt an einer ausgewählten Menge von Koordinaten oder durch Zeugung durch eine ausgewählte Menge von Menschen wird man einfach so Bürger eines Staates, dessen Existenz man erst sehr viel später erkennen kann. Ist es die graue und langweilige Stunde, in der man auf dem Bürgeramt sitzt und sich den ersten Personalausweis ausstellen lässt?

Für wenige gibt es wohl tatsächlich einen einzelnen, erkenntnisreichen Tag, an dem sie sich entschieden zu ihrem Staat und ihrer Verfassung bekennen, ab dem man sie als Mörder festnehmen könnte. Wie die eigene Sprache, wie die eigenen Gedanken und Positionen, wie so vieles, vereinnahmt und akzeptiert man den Staat schleichend und praktisch unausweichlich und wird Teil desselben.

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Das Grundgesetz, wie es im Bundesgesetzblatt erschienen ist. Gesetz (Public Domain)

Warum soll man nicht töten? Wer dem Grundgesetz folgt, dem ist es verboten. Aber Gesetze, Grundgesetze, Verfassungen können sich ändern.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gehört zu den am häufigsten geänderten Verfassungen der Welt.

Die wichtigsten Artikel, so ist es beim Grundgesetz mit der Würde des Menschen und den Grundprinzipien der Demokratie, mögen davon ausgenommen und praktisch unveränderlich sein. Denn in Art. 79 Abs. 3 GG ist festgelegt, dass eine Änderung des Grundgesetzes, die diese Grundsätze der Artikel 1 und 20 berührt, unzulässig ist – die sogenannte Ewigkeitsklausel.

Die Ewigkeitsklausel, die wohlgemerkt selbst nicht ewig, d.h. explizit gegen Aufhebung geschützt ist. Die Ewigkeitsklausel, die je nach Interpretation auch nur solange ewig ist, bis das Grundgesetz nach Art. 146 GG durch eine neue Verfassung abgelöst würde und seine Gültigkeit und mit ihr die Artikel 1, 20 und 79 verlöre.

So oder so bleibt auch dieses fundamentale Gesetz ein Zettel mit etwas Druckerschwärze, auf deren Linien wir uns implizit oder auch explizit geeinigt haben und versuchen, uns daran zu halten. Der schmerzhafte Ruck am Schopf muss schon passiert sein.

Zu Art. 20 GG wurde hinzugefügt: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese [verfassungsmäßige] Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«

Hitler war formell an die Weimarer Verfassung gebunden, die er nie aufgehoben hat. Auch wenn die Weimarer Verfassung hinsichtlich der Grundrechte weniger sorgfältig als unser heutiges Grundgesetz war, ist offensichtlich, dass von Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit, geschweige von der menschlichen Vernunft in dieser Zeit nichts mehr übrig war. Es sind diese Vorgänge, die mit keiner Verfassung möglich sein sollten und es auch mit der Weimarer Version vielleicht nicht waren.

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Die Bibel ist das meistverkaufte Buch weltweit. Fast jeder hat sie, oder den Koran, oder eine andere von »höherer Instanz« gegebene Schrift irgendwo im Bücherregal stehen oder im Nachttisch liegen. Mancher liest jeden Abend darin, mancher hat sie schon seit Jahren keines Blickes mehr gewürdigt.

Sollte das Grundgesetz auch so ein Büchlein sein, das bei jedem im Regal steht? So eine Schrift, die von höherer Instanz und gleichzeitig von uns selbst als verfassungsgebende Gewalt verfasst ist? Vielleicht wäre es tatsächlich gut, wenn auf dem schmalen Band sich nicht nur Fasern, Hautschuppen, Haare, Weben und Kot, sprich Stäube ansammeln würden, sondern auch Gedanken, und man sich von Zeit zu Zeit in Erinnerung rufen würde, nach welchen selbstauferlegten Regeln man eigentlich lebt.

Damit unser Zusammenleben funktioniert, müssen wir uns auf einige grundlegende Prinzipien einigen, mit denen jeder, soweit es geht, einverstanden ist und sich vielleicht sogar damit identifizieren kann. Unser Grundgesetz mit seinen wichtigsten Artikeln ist diese Einigung. Unser Grundgesetz ist, pragmatisch betrachtet, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland – denn Grundgesetz, Verfassung und Konstitution sind nur Wörter, denen man Bedeutung verleihen muss.

Es ist Glück für jeden Bürger: Deutschland belegt bei Indizes wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit gute Plätze.

Unser Grundgesetz hat diese Bedeutung allem Anschein nach zu Recht verliehen bekommen. Es hat aus Fehlern und dunklen Zeiten der Vergangenheit gelernt. Es hat den Grundstein gelegt für ein (meistens) friedliches Land. Es hatte nie den Charakter eines Provisoriums, sondern hat von Anfang an die zentralen Fundamente der Grundrechte und Demokratie gebildet. Unser Grundgesetz, unsere Einigung darauf, hat sich in bald 70 Jahren bewährt.

Es bleibt die Frage, wie man mit Menschen umgeht, die diese Einigung ablehnen.

Das Projekt
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Links eine Bahnstrom-, rechts eine zweikreisige Drehstromtrasse.

Durchwirkt von geringer Stärke thronen / Mit fünfzigfachen Herzraten, / Ignoriert vom großen Rest, / Die eisernen Pylonen. / Blind stehen sie und warten / Auf dem Arm das Vogelnest.

Zwischen unseren Häusern werden die Leitungen, aufgehängt an mehr oder weniger windschiefen Isolatoren, immer weniger. Aber zwischen unseren Städten werden die Hochspannungstrassen immer zahlreicher. Auf einem unbedachten Foto entlarven sie die scheinbar unberührte Landschaft, auf einem Symbolfoto stehen sie still im Sonnenuntergang. Bei einer Wanderung werden sie ausgeblendet und ignoriert, nur graue Seile und Streben, die eben, nach einem kurzen Regenguss nicht mehr ganz still, ihren Dienst verrichten.

Schritt für Schritt schalten wir unsere Energiequellen aus. Erst die letzten Atomkraftwerke, jetzt idealerweise die Braunkohle aus dem alten Forst, sowieso schon wehrt man sich gegen die »Asparagisierung« der Landschaft durch Windkraftanlagen.

Und je mehr man asparagisiert, desto mehr müsste man eigentlich die Länder auch mästen und mit brummenden Trassen versehen, oder eben mit Erdkabeln geringeren Widerstands – seitens der Anwohner; die Übertragungsverluste sind bei Erdkabeln höher als bei Freileitungen, zumindest bei Wechselstrom.

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Jede elektrische Leitung erzeugt mit ihren verschiedenen Adern und dem dazwischenliegenden, mehr oder weniger isolierenden Material ein elektrisches Feld. Sie wirkt so als Kondensator, der ein gewisses Maß an elektrischer Ladung speichert.

Wechselstrom, genauer Drehstrom, wie er zu uns ins Haus kommt, ändert seine Polung regelmäßig, im europäischen Fall 50 Mal pro Sekunde. Die Elektronen fließen also ständig hin- und her, und nicht in eine Richtung vom Minus- zum Pluspol, wie man es vom Gleichstrom kennt.

Dadurch wird auch das elektrische Feld ständig auf- und wieder abgebaut. Die für das Aufbauen aufgewendete Energie wird dann zeitversetzt wieder zurückgespeist, es entsteht sogenannter phasenverschobener Blindstrom, bei dem die Wellenberge der Spannung und Stromstärke, die bei Wechselstrom idealerweise immer gleichzeitig auftreten, gegeneinander verschoben werden. Die Leistung, die etwa einem Motor oder einer Glühbirne am Ende des Kabels zur Verfügung steht, nimmt ab – denn Leistung ist ja das Produkt aus Spannung und Stromstärke.

Umso höher die Stromstärke, umso mehr Wärme wird in den Leitungen erzeugt und umso mehr Energie geht verloren. Daher wird die Spannung erhöht, nicht die Stromstärke.

Bei den dickeren Erdkabeln, deren Adern viel näher zusammenliegen, isoliert die Erde aber viel schlechter als die Luft die Freileitungen, erstere müssen – im Gegensatz zu den Freileitungen, die nur aus blankem Metall bestehen – selbst isoliert werden. Die Blindleistung ist hier daher viel höher, steigt mit zunehmender Kabellänge und muss immer wieder kompensiert werden. Erdkabel über hunderte Kilometer führen daher mit Wechselstrom zu hohen Verlusten und sind praktisch undenkbar.

Sehen Sie das einsame Erdseil?

Bei Gleichstrom besteht das Problem der Blindleistung dagegen nicht, da das elektrische Feld nicht ständig auf- und wieder abgebaut wird, sondern einmalig beim Einschalten der Leitung erzeugt wird. Gleichstromtrassen, ob über- oder unterirdisch, lohnen sich aber erst ab vielen hundert Kilometern, da der Übertragungsverlust bei ihnen zwar um ein Vielfaches niedriger ist, aber dafür am Anfang und Ende verlustbehaftet zwischen Gleich- und Wechselstrom konvertiert werden muss.

Ein Atomkraftwerk entspricht etwa 1000 Windkraftanlagen.

Weil der Wechselstrom auch viel flexibler zum Transformieren zwischen verschiedenen Spannungen und zum Verteilen in komplizierten Netzen ist, sind bisher praktisch alle landgebundenen Leitungen in Deutschland und anderswo, ob Hoch-, Mittel- oder Niederspannung, für Wechselstrom ausgelegt. Erst für lange Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, wie sie von den nördlichen Offshore-Windparks zu den südlichen Verbrauchern geplant sind, macht die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung auch in Deutschland Sinn.

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Ein Verdrillmast, bei dem gleich auch noch zwei nun einmal endliche Leitungen verbunden werden.

Schaut man sich einen typischen Hochspannungsmasten in der Landschaft an, wird er meistens eine durch drei teilbare Anzahl an Leiterseilen aufweisen. Beim einphasigen Wechselstrom oszillieren Strom und Spannung periodisch, beim dreiphasigen Wechselstrom, also Drehstrom, gibt es drei Phasen, die genauso jeweils um ein Drittel voneinander verschoben oszillieren – daher werden hier drei Leiter notwendig. Auf jeder Seite des Masts könnten so drei Seile aufgehängt sein und also zwei unabhängige Stromkreise. Die vierte Ader, der Neutralleiter, den man eigentlich bräuchte, um den Stromkreis wirklich zu schließen, wird weggelassen – die Erde selbst muss das übernehmen.

Findet man zufällig einen Masten mit einer geraden Anzahl von Leitern, wird es sich wohl um einphasigen Bahnstrom handeln, der später in sogenannten Unterwerken in die Oberleitungen für die Züge eingespeist wird – oder aber man hat tatsächlich eine erste Gleichstrom-Übertragungsstrecke entdeckt. Nicht mit einem Leiterseil verwechseln sollte man dabei das Erdseil, das oft zwischen den Spitzen der Masten gespannt ist und nur als Blitzableiter dient oder vielleicht ein Glasfaserkabel zur Datenübertragung enthält.

Das furchterregende Brummen und Surren, das manche Freileitung von sich gibt, entsteht übrigens normalerweise nicht dadurch, dass die Elektrizität Erde und Luft in ihren Grundfesten erschüttern und zu Lauten anregen würde. Vielmehr wird es besonders hörbar, wenn es feucht ist oder geregnet hat, weil es nur die winzigen Wassertropfen sind, die an den Leitungen hängen, die durch die oszillierende Spannung wie die Membran eines Lautsprechers in Schwingung versetzt werden und sich aus ihrer natürlichen Kugelform immer wieder zu Ellipsoiden formen. Man kann Gleich- und Wechselspannungstrassen also auch allein mit dem Gehör unterscheiden.

Im Bahnstromnetz und in der Oberleitung liegt die Frequenz aus historischen Gründen bei nur 16,7 statt 50 Hertz wie in den übrigen Netzen.

Bei Trassen höherer, genauer höchster Spannungen werden für ein besseres Übertragungsverhalten statt einem dicken Leiter für jede einzelne Phase mehrere – immer noch einige Zentimeter dicke – Leiter, die mit Abstandhaltern direkt nebeneinander laufen, gebündelt. Das Leitungsgewirr in der Luft nimmt noch mehr zu. Diese Höchstspannungsleitungen, die das Rückgrat des Stromnetzes bilden, führen dann meist 220 oder 380 Kilovolt – oft mit Bündeln aus zwei oder drei Leitern, respektive. Mit einer Stromstärke von kaum mehr als einem Kiloampere kann eine Trasse dann die Leistung eines Atomkraftwerks übertragen.

Durch die Nähe zu den anderen Phasen, zum Mast und trotz seiner dutzenden Meter Höhe auch zur Erde, treten aber, wenn auch viel schwächer als bei den Erdkabeln, Blindströme auf. Problematisch ist hier vor allem die Asymmetrie zum Masten, durch die die Blindströme in jeder Phase unterschiedlich ausgeprägt sind. Deshalb werden bei langen Trassen die Leiter an speziellen Verdrillmasten gekreuzt, um die Effekte wenigstens anzugleichen.

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Dass Erdkabel teurer sind als Masten, ist unstrittig, aber wenn die zwei, vier, sechs Mal höheren Kosten es doch wert wären, weil die Kabel unsichtbar sind, nicht vom Blitz getroffen oder vom Vogel geerdet werden und keine Kopfschmerzen oder viel Schlimmeres verursachen!

Leider muss für die Erdkabel eine annähernd genauso große Schneise durch das Land freigehalten werden, damit dem Kabel nicht neben den Nagern noch die Wurzeln zu schaffen machen.

Leider sind sie zwar besser geschützt gegen äußere Einflüsse, aber wenn sie beschädigt werden, ist die Reparatur aufwändig und zeitintensiv. Leider sind sie dadurch im Allgemeinen unzuverlässiger als Freileitungen, weil ihre Ausfallzeiten unter dem Strich wesentlich höher sind.

Leider sind zwar die elektromagnetischen Auswirkungen in der Umgebung geringer, aber die Erdkabel von vielleicht 35° erwärmen das umliegende Erdreich und schaden dem ökologischen Gefüge damit in nicht geringerem Umfang.

Leider ist das Verlegen solcher langen Erdkabel schlussendlich noch recht unerprobt und der Ausgang daher ungewiss…

Offene, runde, vordere Vokale verraten viel / Über eines jeden eigene Zunge / Nur durch feine Linien, Tropfen, Serifen. / Die Blätter färben sich im des Windes linden Spiel / Grün, rot; schon abgefallen das gelbe, junge: / Vokale immer über die Grenzen liefen.

Wenn Sie die fünf Vokale in zwei Gruppen aufteilen müssten, wie würden Sie vorgehen? Haben Sie sich darüber noch niemals Gedanken gemacht, wäre es besonders spannend, zu welchem Ergebnis sie kommen; wenn Sie zufällig Türkisch oder Finnisch sprechen, liegt die Antwort wohl auf der Hand.

Die Zeichen x und ç (sprich C mit Cedille) sind in diesem Zusammenhang sehr erfreulich, weil vielseitig. Denn eigentlich braucht es keine finno-ugrischen oder Turksprachen, um zu erkennen, dass man auch auf Deutsch seine Vokale diskriminiert. Wir sagen Bericht und Bach, Blech und Bloch, ballaststoffreich und Buch. Im Übrigen sagen wir auch krächzen, Köchin und Küche (zum Kochen).

Je nach dem, welcher Vokal davor steht, sprechen wir unser »ch« also, um es mit dem Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA) auszudrücken, [x] oder [ç] – wie in »ach« oder »ich«, um es verständlich auszudrücken. Von dieser Verständlichkeit leider ausgenommen sind alle Sprecher des Schweizerdeutsch und einiger Dialekte, bei denen »ich« nicht immer »ich« sein muss.

Auch im Hochdeutschen gibt es zweifellos noch eine weitere Aussprache für das »ch«. Häufig könnten wir es mit dem s zusammen wie in »wachsen« und »Echse« als x schreiben und uns zwei Buchstaben sparen. Zur Erinnerung, die IPA-Schreibweise [x] ist ein anderer Laut, wir sprechen von [ks].

Und je nach dem, wo man sich gerade aufhält, traut man sich, mehr oder weniger viele »ch« am Wortanfang als k auszusprechen. Bleibt die Frage, ob du wachst oder wachst.

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Die dunklen Vokale a und o und u wären also in der einen Gruppe und die hellen Vokale, optional auch die Umlaute, in der anderen. Die hellen Vokale werden mit fast geschlossenem Mund gebildet, achten Sie darauf, wie sich Ihr Mund öffnet, wenn Sie von e zu a wechseln. Sie werden außerdem vorne im Mund gebildet, achten Sie darauf, wie Ihre Zunge sich zurückzieht, wenn Sie von ü zu u wechseln. Bei ü und i hat die Zunge genau die gleiche Position im Mund – sie ist sehr weit vorne. Beide Male ist der Mund nahezu geschlossen, einmal bei gerundeten, einmal bei entspannten Lippen.

Bearbeitet (Public Domain)

Was Linguisten einen gerundeten geschlossenen Hinterzungenvokal und was einen ungerundeten offenen Vorderzungenvokal nennen, liegt wohl jetzt auch auf der Zunge. Können Sie den Laut formen, der zum i so steht wie das u zum ü, der also wie das i, nur mit der Zunge hinten, also wie das u, aber mit entspannten Lippen geformt wird? Das wäre ein ungerundeter geschlossener Hinterzungenvokal. Wenn ja, sollten Sie Türkisch lernen, denn dort ist das i ohne Punkt »ı« ein weiterer, häufiger dunkler Vokal.

Apropos Türkisch. Die türkische Sprache ist sehr streng mit ihren Vokalen. Eigentlich dürfen in einem Wort nur Vokale von einer Familie vorkommen. So wie im Wort »Türkçe«. – Was es bedeutet, bedarf vielleicht keiner Erklärung. Wie es ausgesprochen wird, schon eher: Die Verschriftlichung der türkischen Sprache stellt mit »ç« etwa den Laut »tsch« dar. – So auch wie im Wort »oda«, dem Zimmer. Vokalisch multikulturelle Wörter dagegen, wie »Merhaba«, »Hallo«, sind meist etymologische Migranten, sie kommen vor allem aus dem Arabischen, das es mit den Vokalen nicht so genau nimmt.

Zur Gruppe der Turksprachen gehören neben dem sprecherreichsten Türkisch auch Sprachen wie Azerbaidschanisch, Usbekisch, Kasachisch und Turkmenisch, sie reichen mit Uigurisch bis nach China.

Türkisch ist eine sehr anhängliche Sprache. Der Linguist spricht von Agglutination, wie das Gluten, das den Teig zusammenkleben lässt, oder englisch »glue«, der Kleber. Im Türkischen klebt man immer mehr Anhängsel an ein Wort und aneinander, um zum Beispiel Numerus, Tempus und Kasus anzugeben.

Das schüchterne Haus »ev« wird so mit all seinen Suffixen zu »evlerimde« – in (de) meinen (im) Häusern (ler). Der Plural des »oda« wäre dagegen »odalar«. Wir bemerken, dass immer noch alle Vokale zusammenpassen, und das nicht per Zufall, sondern weil man beim Zusammenbasteln des Wortes aus seinen Bedeutungsschnipseln eben genau darauf achten und die Suffixe entsprechend anpassen muss.

Der Strom der Zeit hat die Verbindung erodiert – oder es gab sie nie.

Türkisch ist aber nicht allein. Es gibt noch andere Sprachen, die die Vokale wohlgeordnet bevorzugen, also wie das Türkische über eine Vokalharmonie verfügen. Vor allem die finno-ugrischen Sprachen, zu denen Ungarisch und Estnisch und Finnisch und eine ganze Reihe von mehr oder weniger lebendigen Sprachen verteilter Völker in Russland gehören.

Sie sind allein schon deshalb interessant, weil sie die einzigen nicht indoeuropäischen Sprachen sind, die heute in Europa gesprochen werden (von Völkern, versteht sich, die mit welchem Zeitstempel auch immer als »europäisch« zu bezeichnen sind – Chinesisch etwa gehört offensichtlich nicht zur indoeuropäischen Sprachfamilie; Chinesen können es trotzdem in Europa sprechen). Interessant auch deshalb, weil die Sprachen heute, einige tausend Jahre nach ihrer gemeinsamen Geburt, ziemlich verstreut sind – zwischen Ungarn und Finnland liegen gute tausend Kilometer indoeuropäisches Sprachmeer. Erst die in Russland verteilten Enklaven von Varianten dieser Sprachfamilie mit ihren näheren Gemeinsamkeiten mit sowohl dem Ungarischen als auch dem Finnischenlassen wirklich erkennen, dass es sich tatsächlich um Geschwister derselben Eltern handelt.

Die deutsche Sprache hat nicht fünf, sondern 15 verschiedene Vokale.

Diese Sprachen haben jedenfalls mit dem Türkischen die Vokalharmonie gemeinsam. Auch der Hang zur Agglutination lässt ans Türkische erinnern und noch einige Eigenheiten mehr, sodass man lange glaubte, dass diese Sprachen wiederum eine gemeinsame Sprachfamilie bildeten, zu der vielleicht gar das Japanische gehören könnte – heute ist man sich da nicht mehr so sicher und etwas ratlos. Der Kleber zwischen den Sprachen fehlt – soll heißen, von den kleinen, großen, vielleicht toten Sprachen, die die klaffende Schlucht zwischen den doch großen Unterschieden überbrücken könnten, wie es die Regionalsprachen Russlands für die finno-ugrische Familie tun, ist nichts mehr übrig.

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Aber warum in die Ferne schweifen, wenn auch hier eine rudimentäre Vokalharmonie unterhält? Schon in der heimischen Garage darf man sich fragen, warum es nun einmal [ɡaʀaʒə], »Garasche« und nicht [ʃaʀaɡə], »Scharage« heißt. Was die Franzosen sich wohl dabei gedacht haben? Denn daher kommt das Wort, wie man hört.

Wie bei »reißen« und »reisen« ist auf Deutsch das ß immer stimmlos und das einfache s wenigstens unter bestimmten Umständen stimmhaft.

Auch die französische Sprache hat es mit hellen und dunklen Vokalen. Im Unterschied zum Deutschen haben sie die Macht über den Konsonanten, der ihnen zuvorkommt, statt über denjenigen hinter ihnen. Die hellen Vokale lassen ihn weich werden, so das »g« zum stimmhaften »sch« [ʒ] und das »c« zum (wenn auch stimmlosen) »s«. Die dunklen Vokale zwingen sie zur Hartnäckigkeit, das »g« bleibt beim »g« und das »c« wie das deutsche »k«. Da haben wir die Garage und die »cause« und die »sauce«.

Vokale haben in der Tat eine ungeheure Macht darüber, wie eine Sprache klingt. Deutsch hat in seiner Wörterlandschaft notorisch wenige davon, Französisch schon viel mehr, auch wenn unter dem Strich die Palette der dem Sprecher zur Verfügung stehenden Vokallaute ungefähr gleich groß ist.

Doch die französische Sprache hat für die Beeinflussung der genannten Konsonanten statt der Vokale noch ein mächtigeres Werkzeug: Es ist nur ein kleiner Strich. Statt »francais« schreibt man »français«, sonst würde sich das Ganze viel zu germanisch, eben nach den Franken anhören. (Man darf anmerken, dass hier, im Gegensatz zum allgegenwärtigen »Ça va?«, nicht einmal eine irreguläre Aussprache zu beachten ist, da ja das »-ais« sowieso eher wie ein e ausgesprochen wird und das c damit zwingt, sich in ein s zu verwandeln.) Was die Franken aber in Frankreich mit einer romanischen Sprache anfangen, ist eine andere Erzählung.

Kalkstein, den das Meer sichtbar macht.

Aus dem tiefen Magma wird kalt Granit / Gescheckt, gebändert, metamorph wird Gneis / Im Kalkstein damals Wasserwesen wohnen. / Kein Stein auf dem andern die Stille liebt / Das All ist der Anfang im ständigen Kreis / In wenigen Sekunden fließen viele Äonen.

Es geschieht selten, dass neues Gestein entsteht. Je nach dem, wie genau man es nimmt, nie. Denn selbst wenn Gestein aus reinem Licht geschaffen wird, ist nach Einsteins Regel nichts hinzugekommen und nichts verlorengegangen. Das Gleichheitszeichen der Formel sind die Pflanzen und ihre Fotosynthese: Sie verwandeln die Energie des Lichts (und einiges andere) in Biomasse, vorerst.

Kohle ist das prominenteste Gestein, das aus abgestorbenen Pflanzen und der Zeit entsteht – im Fall von Steinkohle mehrere hundert Millionen Jahre, im Fall von Braunkohle gerade einmal ein Alpenalter, die ja ein recht junges Gebirge sind. Auch tierische Hinterlassenschaften werden zu Stein: Kalkstein zeigt uns noch heute, wo früher Meere waren und Plankton, Korallen und Muscheln lebten.

Petrus ist der Stein der Kirche, Petrologen beschäftigen sich mit Gestein. Sie nennen Kalk und Kohle den biogenen Teil der Sedimentite, neben den klastischen und chemischen Verwandten.

Eine kannelierte Säule aus wohl metamorphem Gestein.

Der Mensch wurde schon vor einiger Zeit sesshaft, Sedimentite wurden und werden es noch heute regelmäßig. Um sesshaft zu werden, muss man aber erst einmal existieren. Wenn nicht aus Biomasse, entstehen Sedimentite daher aus bestehendem Gestein. Nach der Ruhestörung durch Erosion und dem erzwungenen Nomadentum oft im Wasser gelöst oder mitgeführt, kann man es auch niemandem verdenken, froh zu sein, sich wieder zur Ruhe setzen zu können und mit einer warmen Decke aus weiterem Material über dem Kopf die nächsten Jahre friedlich überdauern zu dürfen. Mit Druck, Chemie und Zeit wird verdichtet und verbunden.

Was dabei herauskommt, wenn diese Schicht später ihrer Decke entledigt und unsanft geweckt wird, hängt vor allem von der Korngröße ab, in der sie sich damals dort abgelagert hatte: Grober Sand wird zu Sandstein, feiner Ton zu Tonstein, den wir nach weiteren Verwandlungen mitunter Schiefer nennen.

Die Diagenese, die Geburtsstunde der Sedimentite, ist der kleine, vielmehr flache Kreislauf, der sich nah an der Erdoberfläche abspielt. Umso tiefer das sich bildende Gestein durch tektonische Prozesse und sonstige Kapriolen des Planeten in dessen Eingeweide vordringt, umso tiefgreifender wird es sich unter immer größerem Druck und höherer Temperatur verändern.

Metamorphe Gesteine wie Marmor sind auf die Erdkruste beschränkt, die ja nur wenige Dutzend Kilometer dick ist. Dort kann es zwar von unten schon ziemlich warm und von oben schon ziemlich schwer werden und den Charakter des Gesteins stärker verändern, als es bei den Sedimentgesteinen Nahe der Erdoberfläche geschieht, aber zu keinem Zeitpunkt wird es schmelzen. Metamorphes Gestein kann daher aus einem bunten Gemisch von bereits bestehendem Gestein entstehen.

Rosa Granit, ein Plutonit.

Das Schmelzen ist den Magmatiten vorbehalten, die sich dem Namen nach in ihrer Geschichte mindestens einmal in flüssiger Form befanden. Einmal geschmolzen, ist es für sie ganz besonders entscheidend, wie sie wieder für uns sichtbar werden. Geschieht es behutsam, steigt das Magma langsam nach oben und kühlt am Rande der Erdkruste ab, bleibt genug Zeit, dass sich die verschiedenden Bestandteile auftrennen können und ihrem unterschiedlichen Schmelzpunkt gemäß nacheinander erstarren. Gleichmäßig geschecktes Gestein wie der Granit kann dabei herauskommen und für uns ganz oben sichtbar werden, wenn dieses Plutonit irgendwann viel später freigelegt wird.

Geht es ganz schnell, fließt oder spritzt das Magma zu Lava werdend bei einer Eruption heraus, spricht der Petrologe von Vulkaniten: Sie sind vielfältig und eintönig zugleich. Je nach dem, wie die Lava mit Gas angereichert ist, entsteht poröser Bimsstein, der durch seine Gaseinschlüsse leichter als Wasser ist, oder zum Beispiel Basalt, der sehr dicht und hart ist. Chemisch gleichen die beiden sich – es kommt auf die Lava an, aus der sie entstanden sind. Es sind feinkörnige und gleichmäßige Gesteine – auf der Erdoberfläche angelangt, erstarren sie praktisch schlagartig und haben keine Zeit, sich auseinanderzudividieren.

Glas entsteht auch natürlich, wenn etwa Quarzsand aufgeschmolzen wird und schnell wieder abkühlt.

Glücklich ist, wer sein eigenes Gestein hat. Die Sueben, sprich Schwaben, sind ein glückliches Völkchen. Ihr Gestein ist der Suevit. Ein Meteoriteneinschlag im Ländle hatte ganz besonderes Gestein hervorgebracht, der die normalerweise äonenlange Entstehungsgeschichte des Gesteins auf wenige Sekunden kondensierte. Denn durch die hohen Drücke und die Hitze geschahen Dinge, die normalerweise nur unter der Erdkruste passieren: Das vorhandene Gestein schmolz zum Teil und verwandelte sich, zum Teil sogar zu Glas. Diese Glaseinschlüsse, die man heute findet, nennt man wegen ihrer Form auch Flädle. Eine solche Flädlesuppe wäre aber wohl eher ungenießbar.